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„Spalten lässt sich nur, was keine Abweichung erlaubt“

Ein paar Anmerkungen zu den Reaktionen auf unsere Rede zur Passauer Demo gegen rechts

Für uns ist breite Bündnisarbeit eigentlich eine Basisbanalität, die wir schon tausend Mal durchgespielt haben: Man tut sich mit Leuten, mit denen man sonst nicht viel gemeinsam hat, zusammen und strebt ein geteiltes Ziel an – israelsolidarische Kundgebungen, ein offener Brief gegen den Ostermarsch, Proteste gegen Rechtsextreme aller Spielarten. Da nehmen wir es selbstverständlich hin, traditionelle Feindschaften, die wir mit Konservativen, Liberalen und anderen Linken pflegen, niederzulegen, was jedoch keineswegs bedeutet, dass wir immanente Kritik, für unser Programm immerhin namensgebend, einfach ausblenden. Ein politisches Bündnis ist nur dann eine demokratische Angelegenheit (und keine Massenpsychose), wenn es nach innen nicht einheitlich, sondern pluralistisch ausgerichtet ist. Im Umkehrschluss halten wir es, wenn auch manchmal zähneknirschend, oft genug aus, dass die sogenannte Mitte die antifaschistische Bewegung als „extremistisch“ brandmarkt und dennoch viel zu häufig die Lorbeeren für die Arbeit der ihr Unliebsamen abstaubt. Und natürlich bedeutet das alles auch, dass wir Debattenbeiträge aus anderen Spektren nicht nur tolerieren, sondern sie uns gerade in einer breiten Bewegung explizit wünschen.

Es spricht allerdings Bände, dass unsere Rede (welche wir in voller Länge auf unserer Website und auf IG veröffentlicht haben) am vergangenen Samstag ausgebuht und ausgepfiffen wurde. Inhaltlich haben wir drei Beobachtungen angerissen: Dass die sogenannte Correctiv-Recherche nichts aufgedeckt hat, was man nicht schon vorher überall lesen konnte (wenn man denn wollte), dass die Protestbewegung zur real existierenden Abschiebepolitik von Union/Ampel schweigt, und dass der O-Ton auf den Demonstrationen, ohne dass es irgendjemanden zu stören scheint, in die NS-Relativierung abdriftet. Die Beobachtungen begründeten die Angst, und damit endete die Rede, dass die Protestbewegung keinen nachhaltigen Antifaschismus, sondern ein selbstvergewisserndes und doppelmoralisches Spektakel darstellt. Und diese Ansichten muss man keineswegs teilen. Es ist keine Schande, erst mit der Correctiv-Recherche ‚die Wahrheit‘ über die AfD erfahren zu haben. Darüber hinaus wäre es naiv zu erwarten, dass – auf einer Demo mit 8.000 Teilnehmenden – ausgerechnet unsere Gedanken zur hiesigen Migrationspolitik einstimmig angenommen werden. Und wo die Grenzen der NS-Relativierung zu ziehen sind, ist ohne Frage ein sehr kontroverses Thema. Dennoch wollten wir zum Nachdenken anregen, darüber, wieso der Aufschrei durch an Fake News grenzenden Sensationsjournalismus losgetreten wird, warum die nun wirklich nicht humanistische Migrationspolitik der Altparteien ignoriert wird, und wieso es in diesem Land physisch unmöglich zu sein scheint, die AfD ohne Schuldabwehr in Richtung NS zu verurteilen. Dass diese Anstöße nicht von ungefähr kommen, haben die zahlreichen Pappschilder, welche die AfD zwanghaft mit dem Nationalsozialismus gleichgesetzt haben, angedeutet. Man könnte fast meinen, die AfD errichtet Konzentrationslager und bereitet einen totalen Vernichtungskrieg vor. [1]

Von daher ist es ironisch, dass diejenigen, die bei unserer Rede Schaum vorm Mund hatten, mit ihren Buhrufen und Pfiffen – wenn auch unfreiwillig – genau das bestätigten, was wir ihnen vorgehalten haben, sich nämlich nicht die Bohne für Rassismus, Antisemitismus, Nationalsozialismus sowie das Wirken dieser Phänomene bei sich selbst zu interessieren, wenn es nicht gerade um Lippenbekenntnisse gegen die AfD geht. Unser Vorwurf, dass die Protestbewegung Ausdruck von etwas ist, was Eike Geisel die „Wiedergutwerdung der Deutschen“ [2] nannte, und dass sie für viele eine gratismutige Entlastungsfunktion anbietet, sowohl hinsichtlich des Aufstiegs der AfD als auch der NS-Zeit, wurde im Handgemenge bestätigt. Dass ein älterer Teilnehmer mehrmals „Spalter“ rief und damit auf eine typische NS-Vokabel zurückfiel, welche Goebbels & Co. nutzten, um politisch Andersdenkende zu denunzieren, lässt tief blicken. Ein sicherlich polemischer Vorwurf aus unserer Rede war, dass die Protestbewegung dem Nationalsozialismus dankbar ist, weil die deutschen Menschheitsverbrechen es ermöglichen, sich gleich doppelt wohlfeil auf die richtige Seite der Geschichte zu schlagen. So kann man seine nachgeholte Distinktion zum NS kundtun, ohne sich die Frage zu stellen, ob man damals vielleicht nicht doch mitgelaufen wäre; und sich gleichzeitig von der AfD abgrenzen, ohne auch nur einen Finger krumm zu machen. [3] In einem Interview mit der PNP brachte eine Teilnehmerin es auf den Punkt: „Es kostet nichts, hierhin zu gehen.“ Dass dem so ist, ist wiederum Verdienst jener Leute, die diesen Protest in unzähligen Stunden unbezahlter Arbeit organisiert haben.

Seit Jahren stellen wir Aufklärung über und Bekämpfung von Rechtsextremismus auf die Beine. Erst kürzlich haben wir unseren achten Geburtstag gefeiert, dabei blicken wir einerseits auf die Vertreibung mehrerer neofaschistischer Akteure aus der Stadt zurück, eine Drecksarbeit, die wir nicht zuletzt in Bündnissen bewerkstelligt haben. Wir stehen anderseits für kritische Bildungsangebote zu Antisemitismus, Rassismus und Sexismus, welche nicht nur das Offensichtliche wie AfD & Co. zum Gegenstand haben, sondern auch das (vermeintlich) Nebensächliche und Gegenteilige, wie Alltagsrassismus, linker Antisemitismus oder eben Erinnerungsabwehr. Kritik, insbesondere dann, wenn sie gegen den Strich bürstet und kränkt, ist der Kern unseres Wirkens und wird es auch weiterhin bleiben.

Wir hoffen, dass unsere Gedanken vielleicht einen Beitrag dazu leisten können, ein Innehalten und Nachdenken innerhalb der Protestbewegung, deren Existenzberechtigung absolut notwendig ist und als deren Teil wir uns selbstverständlich sehen, anregen können. Wir stehen für ein solidarisches Miteinander, dass Kritik und Abweichungen zulässt, ohne auseinanderzubrechen. An dieser Stelle tausend Dank für all die Solidaritätsadressen, die uns bis hierhin erreicht haben.


[1] Dass so einige Traditionen des NS in der AfD fortleben oder mit ihr eine Neuauflage erhalten, ist selbstredend, oft genug haben wir darauf verwiesen. Es geht nicht um ein Vergleichsverbot, sondern um Achtsamkeit darüber, dass die NS-Relativierung einen Bestandteil eben dieser Traditionen bildet, auch und gerade wenn sie aus der Mitte oder von links kommt. Bei „Jana aus Kassel“ und Gaulands „Vogelschiss“ haben sich ja auch, und das völlig zurecht, viele Leute empört. Davon abgesehen versperrt die Gleichsetzung den Blick für eine tatsächliche Analyse des AfD-Aufstiegs, der sehr wenig mit 1933, aber sehr viel mit dem 21. Jahrhundert zu tun hat.

[2] Ein guter Überblick: https://arthurbuckow.wordpress.com/2015/11/10/der-versoehnungsverweigerer/ oder unsere Texte zum 27.01.2022/2023 (s. Instagram).

[3] Umso ärgerlicher ist es, dass der Bürgerblick in seiner Berichterstattung nur unsere Kritik der Migrationspolitik als Grund für die Pfiffe benennt, was nicht stimmt: unbehaglich wurde es für den Mob erst, als er aufgefordert wurde, den Nationalsozialismus zu reflektieren, was mit „Aufhören!“ quittiert wurde. Die PNP hingegen erwähnte diesen Umstand in ihrer Montagsausgabe.