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„Von Moskau nach Passau: Linker Antisemitismus bei Passau for Palestine“

Teil 2: Zum auf dem Passauer Uni-Campus verteilten Propaganda-Flyer

[Bild: Neonazi oder Free Palestine? Man weiß es nicht]

Dies ist der zweite Teil eines Doppeltextes, der sich mit linkem Antisemitismus, exemplarisch am Beispiel der jungen Passauer Gruppe ‚Passau for Palestine‘, auseinandersetzt. Teil 1 – zur Ideengeschichte des linken Antisemitismus – gibt es hier.

‚Passau for Palestine‘ – Antisemitismus der Auslassungen

Die bisherigen Inhalte von PFP (die Nähe zum Akronym der antisemitischen Killerbande ‚Popular Front for the Liberation of Palestine‘ – PFLP –, dürfte kein Zufall sein) sind überschaubar, ein von konkreten Inhalten abstrahierter Flyer soll kurz besprochen werden.

Jener ist mit dem Zitat „Israel begeht Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ einer Untersuchungskommission der Vereinten Nationen untertitelt. Zunächst sei gesagt, dass die Kommission diesen Vorwurf auch gegenüber der Hamas, dem Islamischen Dschihad und anderen palästinensischen Gruppen erhebt. Es geht ganz konkret um Folter, Vergewaltigung, exterminatorische Massentötungen und Entführungen. Darüber hinaus ist der Vorwurf gegenüber Israel relativ vage und umfasst primär die Tatsache, dass dem Krieg bisher zahlreiche Zivilist:innen zum Opfer gefallen sind. Sicherlich ist es angebracht, Teile davon Israels rigorosen Bombardements und Bodenoffensiven anzulasten. Es gehört aber auch zur Wahrheit, dass die Grenze zwischen Kombattant und Zivilist:innen in Gaza eine verschwommene ist, weil die Unterstützung für die Hamas ungebrochen hoch und weite Teile der Bevölkerung in die Gewaltherrschaft integriert sind (exemplarisch: PCPSR 2024), dass Israel sein Vorgehen in der Regel ankündigt um zivile Opfer zumindest im Ansatz zu vermeiden, dass die Hamas tatsächliche Zivilist:innen als Schutzschilde munitioniert, indem sie ihre militärischen Anlagen in Wohngebieten, Krankenhäusern und Schulen verlegt, dass Ägypten die einzige Fluchtmöglichkeit nach Süden versperrt hat, dass palästinensische Raketen regelmäßig in Gaza (statt in Israel) landen und so weiter und so fort. Vom antiisraelischen Bias der UN ganz zu schweigen (vgl. Feuerherdt/Markl 2018).

Weiter geht es mit „Mindestens 37.000 Tote PalästinenserInnen [sic] – primär Frauen und Kinder“. Hierbei handelt es sich um mehrere, nur schwer belegbare Behauptungen. Zunächst ist diese Opferzahl unmittelbar von der Hamas übernommen und höchstwahrscheinlich manipuliert. Davon abgesehen wird hier – wie auch beim Gesundheitsministerium der Hamas – nicht zwischen Kombatant:innen und Zivilist:innen unterschieden. Laut israelischen Angaben, die ebenso zu hinterfragen sind, wurden bis Mai diesen Jahres mindestens 14.000 Kämpfer ausgeschaltet, dabei gab es 16.000 zivile Opfer. Fakt ist, dass unter den Todesopfern wohl ein großer Teil der Hamas oder anderen Terrorgruppen zugehörig ist. Das Problem bei der Darstellung von PFP ist, dass so getan wird, als ob Israel wahllos in Gaza rummordet. Das Gegenteil ist jedoch der Fall: Es geht, wenn auch mit fragwürdigen Mitteln, um die Eliminierung einer militärischen Streitmacht, die den jüdischen Staat angegriffen hat. Hier werden bewusst Falschinformationen reproduziert und verbreitet. Zuletzt ist es schlichtweg irreführend, dass „primär“ Frauen und Kinder getötet werden – auch wenn die entsprechenden Anteile verhältnismäßig groß sein dürften. Wie in allen militärischen Konflikten sind es vor allem Männer, die hier als bewaffnete Kombattanten, Terroristen oder Partisanen gegen die IDF kämpfen. Die zuverlässigsten Zahlen des Hamas-Gesundheitsministeriums geben an, dass knapp die Hälfte aller Toten männlich sind, eine Dunkelziffer dürfte aber höher liegen (vgl. von Schwerin/Skinner 2024). Fest steht, dass es ‚primär‘ bewaffnete Männer sind, welche das Ziel der israelischen Maßnahmen darstellen. Zudem ist auffällig, wie der Verweis auf Kinder das antisemitische Urmotiv des jüdischen ‚Kindermörders‘ auflegt, typisch für israelbezogene Formen des Antisemitismus.

Anschließend ist von „1.100.000 Hungernden – die Hälfte der Bevölkerung Gazas“ die Rede. Das mag objektiv stimmen, ist jedoch erneut eine verzerrte Darstellung. Denn die katastrophale humanitäre Lage in Gaza ist multifaktoriell, wobei Unterlassungen der israelischen Kriegsführung und Armee sicherlich ein beitragender Faktor sind. Dazu gehört selbstverständlich, dass die Hamas Unschuldige und Unbeteiligte als Bauernopfer ins Feld führt und die Geländespielchen mit der IDF über die Versorgung der eigenen Bevölkerung priorisiert. Diese Konstellation ist älter als der aktuelle Krieg und es sollte eine Binsenweisheit sein, dass die milliardenschweren Hilfsgelder für Gaza im kleptokratischen Klientelismus der Hamas größtenteils nicht in die Entwicklung der Infrastruktur und Grundversorgung, sondern in die eigene Aufrüstung gesteckt wurden. Diese Linie wird mit den Hilfsgütern, die von oben nach unten weitergetauscht werden, fortgeführt.

Der Stichpunkt „Waffen und diplomatische Rückendeckung – das Geschenk Deutschlands an Israel“ lässt tief blicken. Dabei ist es natürlich richtig, dass Deutschland Waffen an Israel liefert und zumindest nominell auf der Seite des jüdischen Staates steht. Allerdings sind die Exporte seit Ende 2023 drastisch runtergegangen und waren kein „Geschenk“, sondern ein Tauschgeschäft zwischen dem jüdischen Staat und deutschen Unternehmen, welches von der Bundesregierung genehmigt wurde. Deutschland rühmt sich zwar gerne, Israels Sicherheit sei seine Staatsräson, setzt diesen Grundsatz aber nur dann zu seiner Maxime, wenn es seine vermeintlich abgrenzende Rolle zur nationalsozialistischen Vergangenheit und postnazistischen Gegenwart dadurch legitimationsideologisch absichern kann. Es gibt zahlreiche Forderungen unterschiedlicher israelischer Regierungen, von ganz links bis ganz rechts, denen Deutschland seit Jahrzehnten nicht nachkommt, primär in Fragen seiner Außen- und Wirtschaftspolitik mit Israels Gegnern, allen voran den Mullahs. Als Mahmud Abbas im Gespräch mit Olaf Scholz den Holocaust relativierte, war jener mucksmäuschenstill. Die Ampel und die Opposition haben das Vorgehen der IDF vielfach kritisiert und lassen jeweils keine Chance aus, es sich mit den Gegnern Israels in der Weltpolitik nicht zu verscherzen. Zuverlässige Studien ergeben, dass Israel in Deutschland obsessiv kritisiert wird, mehr als etwa als in Ländern wie Russland oder Saudi-Arabien (vgl. Schwarz-Friesel 2013, 2019). Die Verschleierung als ‚Geschenk‘ ist eine astreine pathische Projektion: Sie suggeriert, dass Deutschland – wohlmöglich besonders wegen seiner Vergangenheit – dem jüdischen Staat den Rücken frei hält, was freilich empirisch nicht aufgeht. Hier wird das uralte Tabu, die Schuld der Shoah durch das Insinuieren eines ‚Schuldkults‘ der Deutschen abzuwehren, durch Verweise auf eine vermeintliche Tätergemeinsamkeit zwischen beiden Ländern lustvoll gebrochen. Die Erinnerung an den Holocaust wird abgewehrt und auf „die prospektiven Opfer“ (so Adorno und Horkheimer in den „Elementen des Antisemitismus“), in diesem Fall Israel, falsch projiziert. Nicht nur ist diese Argumentation die zeitgenössische Erscheinungsform der neonazistischen NS-Relativierung, PFP biedert sich hier ganz unverfroren ihren pro-palästinensischen Kameraden vom III. Weg, NPD, Höcke & Co. an.

Was den Vorwurf des „Völkermords“ betrifft, so gibt es bisher kein einziges Gericht, das jenen bestätigt. Das prägende Element der rechtsphilosophischen Konstruktion des Begriffs ist eindeutig, nämlich dass die Dezimierung, partielle Auslöschung oder totale Vernichtung einer bestimmten Bevölkerung das Ziel einer bestimmten Gewaltpraxis darstellen. Dabei ist es zweitrangig, wie viele Menschen in einem militärischen Konflikt oder eben Völkermord getötet werden. Jüngere Genozide, etwa vom IS an den kurdischen Jesid:innen, von serbischen Streitkräften an den Bosniak:innen oder der Hutu-Mehrheit an der Tutsi-Minderheit in Ruanda, aber auch der Holocaust oder der Armenozid durch die Jungtürken, sie alle haben gemein, dass es den Täter:innen um eine möglichst drastische Ausradierung ihrer Opfer ging, selbst wenn sich die einzelnen Gewaltpraktiken nur auf wenige Menschen in kurzer Zeit beschränkten. Diese Bedingung ist im Falle des israelischen Vorgehens, mag es manchmal noch so brutal sein, ausgeschlossen. Hier wird mit einem Kampfbegriff operiert, der sich nicht für das tatsächliche Leid irgendwelcher Menschen in Israel und Palästina interessiert, sondern für die Agitation gegen den jüdischen Staat. Es ist die gleiche argumentative Struktur, welche Neonazis regelmäßig benutzen, um die Bombardierungen Würzburgs, Dresdens und dergleichen als ‚Völkermord an den Deutschen‘ umzudeuten. Um es an diesem Beispiel plastisch zu machen: Die Ermordung einer einzigen jüdischen Familie in Weißrussland durch einen SS-Mann oder Wehrmachtsoldaten ist genozidal, das zehntausendfache Sterben der Einwohner:innen von Dresden durch britische Bomben ist es nicht. Im Angesicht des Blutrauschs, den palästinensische Verbände im Stile der nationalsozialistischen ‚Einsatzgruppen‘ im Süden Israels veranstalteten und der sich tatsächlich an den Begriff des Genozids annähern lässt, funktionalisiert der Vorwurf als eine klassische Täter-Opfer-Umkehr. Denn während das Ziel der Angreifer vom siebten Oktober die prospektive Ermordung aller Jüdinnen:Juden war, ging es Israel noch zu keinem Zeitpunkt seiner Geschichte um die Auslöschung aller Palästinenser:innen.

‚Passau for Palestine‘ – Ideologiekritik statt antisemitische Paranoia

„Echter pro-palästinensischer Protest würde voraussetzen, sich in erster Linie kritisch mit der Hamas auseinanderzusetzen“ (Zarbock 2023). Dieser Aussage eines Mitglieds der Trierer Initiative Interdisziplinäre Antisemitismusforschung können wir uns nur anschließen. Da es bei den postmodernen und inzwischen auch antiimperialistischen Agitatoren, und irgendwo zwischen diesen Milieus dürfte PFP sich befinden, üblich geworden ist, solche Forderungen nur noch mit Stammbaumzertifikat durchgehen zu lassen, verweisen wir an dieser Stelle auf Hamza Howidy, einen palästinensischen Dissidenten, der immer wieder sich an entzündenden Protesten gegen die islamfaschistische Diktatur in Gaza beteiligt hat:

Eigentlich bin ich nicht hier, um Israel zu verteidigen, aber wenn die Protestierenden sagen, dass Israel schlimmere Verbrechen begeht als die Hamas, sollten sie sich die Frage stellen: Was wäre, wenn die Hamas über die militärischen Kapazitäten der IDF verfügen würde? Ich glaube, es wäre ein Albtraum für alle. Ich denke, dass die Aktivist*innen Angst haben, als Alibi benutzt zu werden, um zu rechtfertigen, was mit den Zivilist*innen in Gaza und im Westjordanland geschieht. Andererseits zeigen die Menschen gerne mit dem Finger auf Israel und machen es für alles verantwortlich. Das ist nicht nur auf den Nahen Osten oder die arabische Welt beschränkt, sondern geschieht auch im Westen. Also ja, Israel verdient einige Kritik und trägt einige Schuld; aber nein, nicht die alleinige. […] Ich habe schon mehrfach erwähnt, dass ich die Proteste, die zur Versöhnung und zum Frieden zwischen den Palästinensern und den Israelis aufrufen, die die sofortige Freilassung der Geiseln und einen Waffenstillstand fordern, unterstütze. Aber wenn sich diese Proteste hinter der palästinensischen Sache verstecken und Antisemitismus äußern oder bestimmte Terrorregime wie die Hamas oder die Hisbollah verherrlichen, dann ist es meiner Meinung nach besser, wenn wir darauf verzichten. (2024)

Jedweder Protest, der nicht an dieser Blaupause Maß nimmt, weil er sich obsessiv und monokausal auf den jüdischen Staat fokussiert und jenen letztendlich nur als abstraktes Ersatzobjekt für ganz konkrete Jüdinnen:Juden vorschiebt, um sich vom offenen Antisemitismus vermeintlich fern zu halten, ist eine antisemitische Projektion, die immerzu darauf drängt, eigene Wunschbilder und unterdrückte Triebe nach außen zu stülpen: Die Hamas begeht ein genozidales Massaker, Israel wird Völkermord vorgeworfen. Die Hamas hungert ihre Regierten aus, aber Israel soll daran schuld sein. Es gibt ‚Queers for Palestine‘, obwohl LGBTQ+ in Gaza an Baukränen baumeln und Israel als einziger Staat in Nahost so etwas wie queere Rechte ansatzweise garantiert. Netanyahu, oder noch besser: ganz Israel wird Faschismus vorgeworfen, obwohl sich die Hamas mit nahezu jeder anerkannten Faschismustheorie umstandslos beschreiben ließe. Libanon, Syrien, Iran, Jemen und ihre Bündnispartner in Caracas, Moskau, Peking und Kapstadt fletschen die Zähne und warten nur auf den richtigen Moment, den jüdischen Staat auszulöschen, aber Israel ist angeblich der Goliath dieses Konflikts.

Bleiben diese Umkehrungen unreflektiert, haben wir es mit Antisemitismus zu tun. Das ist ganz offensichtlich auch hier der Fall. Aber wer vom Djihadismus nicht reden will, der sollte auch von Israel schweigen. Solange ‚Passau for Palestine‘ ihre Auslassungen nicht durch eine ernstgemeinte Kritik des globalen Antisemitismus ergänzen, rufen wir alle antifaschistischen, progressiven, emanzipativen und demokratischen Kräfte der Dreiflüssestadt dazu auf, diese neue Erscheinung so zu behandeln, wie man es in den letzten Jahren immerhin halbherzig auch mit den lokalen Traditionsvereinen rechtsextremer Provenienz hinbekommen hat, nämlich als politischen Gegner.

Allzu große Hoffnungen, dass die dem Antisemitismus Zugeneigten ihre bigotte Weltanschauung zurückbilden, haben wir nicht. Es ist ein weiteres Kernmerkmal des Antisemitismus, dass er sich gegenüber Erfahrung, die kränken kann und soll, versperrt. Antisemitismus ist eine Leidenschaft und Weltanschauung (Jean-Paul Satre), die nicht nach Wahrheitsfindung und Selbstbesinnung strebt, sondern eine selbstgerechte Gewaltpraxis darstellt, auch in verbaler Form. Wer schon einmal mit einer Coronaleugnerin, einem überzeugten AfD-Wähler, eingefleischten Putinversteherinnen oder Flacherdlern geredet und versucht hat, die Wahnsinnigen aus ihrer Parallelwelt durch den Verweis auf Fakten herauszuholen, die:der kennt diese buchstäblichen ‚Grenzen der Aufklärung‘. Kein besseres Argument, keine historische Tatsache, keine Form der Logik, keine reflexiven Momente, keine widersprüchlichen Beobachtungen, sprich: keine Art von Erfahrungswerten kann garantieren, dass die (antisemitische) Weltanschauung von ihren Träger:innen als solche erkannt wird. Es geht nicht um den Anspruch auf Wahrheit, sondern um das Ausleben unterdrückter Triebe in Form eines gewalttätigen Ressentiments. Antizionist:innen, damals wie heute, hassen Israel nicht obwohl, sondern weil seine Zerstörung den Tod von Millionen Jüdinnen:Juden bedeuten wird. Der Antizionismus ist der nützliche Idiot des Nationalsozialismus im 21. Jahrhundert. So gesehen richten sich unsere Texte nicht an Antisemit:innen (denn das würde ja nahelegen, dass man Judenhass mit Vernunft beikommen sollte oder könnte), sondern an jene der Ambivalenz zugeneigten Dritten, die nach wie vor Unbehagen spüren, Unbehagen im Angesicht der völkisch und ethnopluralistisch anmutenden Palästina-Sorge, der Verklärung von Terror und Rechtfertigung von sexueller Gewalt gegenüber Jüdinnen, der vermittelt am Nazifaschismus geschulten antiisraelischen Agitation, sowie dem nicht umkehrbar scheinenden Autoritarismus der Protestbewegung, die jede Form der Abweichung und Dissidenz nach innen wie außen unterdrückt.

Für einen israelsolidarischen, selbstkritischen Antifaschismus!

Gegen eine Linke, die ihre antisemitische Genese affirmiert!                                                                                      

Für ein demokratisches palästinensisches Gemeinwesen neben Israel!

Gegen den Islamfaschismus und Nazismus von Hamas und Hisbollah!