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„1. Mai, Straße frei? Zur ambivalenten Geschichte des Arbeitskampfes“

Unsere Rede zur Vorabenddemo des 1. Mai 2024

Der 1. Mai in seiner ursprünglichen Form geht auf den sogenannten Haymarket Riot 1886 zurück. Damals organisierte die anarchistische Gewerkschaftstendenz in Chicago einen Generalstreik, der sich auf die gesamten Staaten ausweitete. Knapp eine halbe Millionen Menschen legten am 1. Mai ihre Arbeit nieder. Ihr Ziel war so berechtigt wie banal: Gefordert wurde ein 8 statt 12-Stundentag bei vollem Lohnausgleich. August Spies, einer der Organisatoren, brachte es auf den Punkt: „Man kann nicht ewig wie ein Stück Vieh leben!“ Der Streik wurde mit Kanonen auf Spatzen beendet. Dutzende wurden vor Ort durch die Polizei ermordet, Spies und seine Gruppe wurden erhängt. Zurecht ging dieses Ereignis als ‚Kampftag der Arbeiterklasse‘ in die Geschichte ein. Dieser Begriff und sein Hintergrund offenbaren zweierlei: Erstens, dass Arbeit ein von Klassenfraktionen umkämpfter Gegenstand ist, zwischen Ausbeutenden und Ausgebeuteten also eine Fundamentalopposition besteht. Und zweitens, dass die Arbeit als solche negativ besetzt war. Es ging nicht darum, die Arbeit zu verbessern oder zu schützen, sondern um ihre Abschaffung, um den Schutz der Arbeiterinnen vor der Arbeit. Die Formel ‚Tag gegen die Arbeit‘ wäre eine ebenso treffende Bezeichnung gewesen.

Der 1. Mai in seiner heutigen Form hat herzlich wenig mit dieser Tradition zu tun. Im Nationalsozialismus wurde der 1. Mai zum ‚Tag der nationalen Arbeit‘ umbenannt. Das kritische Potential wurde damit auf den Kopf gestellt: Im Sinne der faschistischen Ideologie wurde der Klassenwiderspruch aufgehoben und durch Blut und Boden ersetzt. Der Konflikt zwischen Kapital und Arbeit wurde als Rassenkampf zwischen Deutschen und Juden gedeutet. Zudem wurde Arbeit positiv besetzt, es ging nicht mehr um ihre Abschaffung, sondern um ihre Glorifizierung. Die Nazis identifizierten die Juden mit dem Kapital und die Deutschen mit der Arbeit. Ersteres sollte ausgelöscht, letzteres manifestiert werden. Treffend hieß es „Arbeit macht frei“ über den Toren der Vernichtungslager, in denen Jüdinnen und Juden unabhängig von Klasse, Geschlecht, Herkunft und politischem Milieu millionenfach ausgerottet wurden. Dieses Konzept des 1. Mai hat sich in die Bundesrepublik verlängert. Die sogenannte ‚Sozialpartnerschaft‘ ist nichts weiter als die demokratisierte Erscheinungsform der nationalsozialistischen Volksgemeinschaft. Der faule Kompromiss soll Klassenkämpfe unterbinden, Arbeit weiterhin positiv besetzen und die nationale Einheit zwischen Ausgebeuteten und Ausbeutenden beschwören. Gewollt oder nicht, wenn Deutsche jeglicher Provenienz der GDL das Streikrecht absprechen und Klaus Weselsky in antisemitischer Manier als „Selbstdarsteller“ und „Machtspieler“ (Handelsblatt) inszenieren, bedienen sie sich erstklassiger Nazi-Rhetorik. Von Habeck über Söder, den Arbeitgeberverbänden bis hin zur AfD sind sich hierzulande alle einig: Streiken schadet dem Gemeinwohl. Dem können wir nur entgegnen: Tut es das nicht, verfehlt es sein Ziel. Ob Lieferdienste, bei der Bahn, in Fabriken oder an der Uni: Streiken ist ein Grundrecht, dass sich nicht verbieten lässt! Jeder Streik, der die kapitalistische Plackerei mindern will, ob durch Lohnerhöhung oder Arbeitszeitverkürzung, ist richtig und erfordert vollste Solidarität, in Deutschland und überall!


In diesem Sinne ist der Streik, der aufs nationale Wohl keine Rücksicht nimmt und gegen den Arbeitsfetisch operiert, ein antifaschistischer Akt. Eine Linke, die ernsthaft an einer Assoziation freier Menschen interessiert ist, sollte dem faschistischen Verständnis von Arbeit die Sehnsucht nach irdischem Glück entgegenhalten, welches nur jenseits der Arbeit möglich ist und sich durchaus am Spirit der Haymarket Riots orientieren kann. Umso besorgniserregender ist die Tendenz, dass die globale Linke sich mehr und mehr zu einem Faustpfand des Islamfaschismus entwickelt. In den letzten Monaten sind Bewegungen wie Hamas, Hisbollah, Huthis oder die Mullahs im Iran zu positiven Bezugspunkten für große Teile der Linken geworden. An dieser Stelle sei daran erinnert, dass die genannten Akteure allesamt auf die ägyptische Muslimbrüderschaft und Mohammed Amin al-Husseini zurückgehen. Erstere begründete in den 20er Jahren eine Art islamischen Klerikalfaschismus, letzterer ist der Vater des palästinensischen Nantionalismus. Beide haben mit dem NS zusammengearbeitet. Al-Husseini war aktiv in die Durchführung des Holocaust integriert und organisierte muslimische SS-Divisionen auf dem Balkan. Bis heute bilden sie den zentralen Bezugspunkt der palästinensischen Nationalbewegungen, sowohl für die säkulare PLO, als auch für die religiös-fundamentalistische Hamas bzw. Hisbollah. Während Linke in Berlin und an der Columbia unter diesen Fahnen gegen Juden und Israel hetzen, baumeln in Gaza und Teheran Schwule und Sozialistinnen von den Laternen.


Was hat das mit uns zu tun? Die Ablehnung des Elends, das die kapitalistische Gesellschaft nun mal darstellt, läuft immerzu Gefahr, die Ursache des Elends zu personalisieren. Aus historischer Perspektive waren es regelmäßig die Juden, die für diese Vereinfachungen herhalten mussten, besonders im Nationalsozialismus. Die zeitgenössische weltpolitische Erscheinungsform des Antisemitismus ist der ‚Jude unter den Staaten‘, der wie kein zweiter medial kritisiert und deskreditiert wird, während seine Gegner ungebrochen auf die Unterstützung aus dem linken Lager zählen dürfen. Eine Linke, die nicht auf Seite des jüdischen Staates steht, gerade wenn jener bestialisch von Islamfaschisten aller Couleur unter Beschuss steht, ist kaum mehr als die nützliche Idiotin des Nationalsozialismus im 21. Jahrhundert. Die banale Erkenntnis, dass es trotz seiner Verkehrtheit Schlimmeres gibt als den bürgerlich-kapitalistischen Normalbetrieb, muss Grundlage einer jeden Verbesserung des Status Quo sein.