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„Deutschland deine rechte Gewalt“

Redebeitrag zum vierten Jahrestag des rechtsterroristischen Anschlags in Hanau

Die Geschichte der Bundesrepublik ist eine Geschichte des nationalsozialistischen Fortwirkens, welches sich in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder neu aufgelegt hat. In der Nachkriegszeit war das relativ unmittelbar: So saßen im dritten Bundestag mehrheitlich Nazis, die Auschwitz-Prozesse wurden von weiten Teilen der Bevölkerung abgewehrt und die Propaganda gegen die 68er hätte genauso gut im Stürmer gedruckt werden können. Immerhin gab es damals noch den Druck der Hauptsiegermächte, welche bewirkten, dass zahleiche Nachfolge-Organisationen des NS in den 50er und 60er Jahren zerschlagen wurden. Auch wenn es nicht stimmt, dass die 68er eine Aufklärung und Selbstreflexion der nationalsozialistischen Vergangenheit lostraten, so ist es dennoch richtig, dass sie in den 70er Jahren die Modernisierung und Liberalisierung einer Gesellschaft einleiteten, deren Demokratiekonto 12 Jahre Weimarer Republik und 20 Jahre Bundesrepublik aufweisen konnte, also bis auf die Knochen durch den Muff und Schimmel der Reaktion geprägt war. Die Rechte vollzog zu dieser Zeit eine Neuorientierung: Etwas, was wir heute als Neonazismus bezeichnen, begann völkische Ideen durch rohe Gewalt umzusetzen: Bombenattentate, Erschießungen, Hertzjagden. Ein anderer Teil versuchte, faschistische Ideen zu aktualisieren und professionalisieren, also den langen Weg zu gehen – die sogenannte Neue Rechte. Auch wenn sie sich gelegentlich kritisieren und in der politischen Praxis differenzieren, unterscheiden beide sich eigentlich nur dahingehend, dass letztere ihren Todestrieb über Theorie und nicht Gewalt vermitteln.

Der Rechtsterrorismus erlebte seinen Höhepunkt unmittelbar nach der Wiedervereinigung: Die Parolen „Wir sind das Volk“ und wenig später „Wir sind ein Volk“, welche die friedliche Revolution in der DDR begleitete, schufen den Soundtrack der Baseballschlägerjahre. Im Chaos der post-Wende-Zeit herrschte in den neuen Bundesländern, aber auch in Teilen Westdeutschlands, Zerfall, Bandenprinzip, Machtlosigkeit. Junge Neonazis zündeten Wohnhäuser mit Ausländern an, die Öffentlichkeit applaudierte, jubelte oder zuckte mit den Schultern. Amadeu Antonio wurde zu Tode geprügelt. Bullen haben Oury Jalloh gefesselt und angezündet. Die Wiedervereinigung ist ohne Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen und die ganzen anderen Pogrome nicht zu haben. Erst als ausländische Investorinnen, und das muss man sich mal vorstellen, Kapital aus Deutschland abzogen, weil sich die deutschen Zustände auf ihr Geschäft auswirkten, kam der Staat ins handeln. Gerhard Schröder rief den „Aufstand der Anständigen“ aus und bewies damit, dass es ihm und jenen, die dem Aufruf folgten, nicht um die Menschenwürde von nicht-Deutschen ging, sondern darum, den ramponierten Ruf dieses Landes ins neue Jahrtausend zu retten. Zumindest konnte der staatstragende Antifaschismus den Blutrausch des NSU nicht verhindern während die Welt 2006 zu Gast bei Freunden war. Auf die Selbstenttarnung des NSU 2011 folgte die Hinrichtung Walter Lübkes 2019 und dann die Massaker in Halle und Hanau, 2019 und 2020. Seitdem können wir eine rückläufige Tendenz in rechtsterroristischen und neonazistischen Aktivitäten beobachten.

Diese Entwicklungen begleitet der Siegeszug der Neuen Rechten. Nachdem NPD, DVU, Republikaner allesamt gescheitert sind hat sich mit der AfD endlich eine Partei gefunden, welche völkische und faschistische Ideen mehrheitsfähig macht. Dabei profitiert sie von ihrer pseudo-bürgerlichen Form und Genese: Anders als die ganzen rechtsextremen Traditionsvereine ist die AfD eine ursprünglich liberal-konservative Partei, welche erst vom nationalen und dann vom völkischen Flügel gekapert wurde, sich also nicht ganz zu Unrecht als moderat präsentieren kann. Dieses freundliche Gesicht dürfte wohl einer der Gründe sein, warum eine rechtsextreme Partei 80 Jahre nach Kriegsende ein Viertel der deutschen Bevölkerung hinter sich versammeln kann und gewählt wird, nicht obwohl sondern weil Deportationen auf der Tageskarte stehen. Die AfD ist wahnsinnig erfolgreich darin, die Urmotive rechter Propaganda aufzulegen und dabei die oberflächliche Zurückhaltung, welche die deutsche Bevölkerung jahrzehntelang von rechtsextremen Wahlentscheidungen abgehalten hat, zu umgehen. Dass das Unglück, das der Kapitalismus nun mal bedeutet, dermaßen effizient auf Flüchtlinge und Migrantinnen kanalisiert werden kann, anstatt das Mühsal als solches anzugreifen, zeugt vom Zeitkern der Reeducation und der politischen Deprivation unserer Zeit.

Damit fallen der rasante Aufstieg der AfD und das Abklingen von Neonazismus zusammen. Diese Gleichzeitigkeit legt nahe, die zentrale Parole des Hanau-Gedenkens, „Erinnern heißt Handeln“, zu reflektieren. Die vergangenen Jahrzehnte waren die Jahrzehnte des Rechtsterrorismus. Die Blutbäder, welche die Nazis begangen haben, haben Unschuldige aus dem Leben gerissen, die Angehörigen unwiderruflich traumatisiert und alle Menschen, welche keinen deutschen Stammbaum vorweisen können, in einen Zustand permanenter Angst versetzt. Fritz Bauer, der jüdische Staatsanwalt der die Auschwitz-Prozesse leitete, sagte einmal: „Wenn ich mein Zimmer verlasse, betrete ich Feindesland“ und diese Barbarei ist hierzulande für alle nicht-Deutschen nach wie vor gültig. Auch die Aufarbeitung von Hanau bleibt unabgeschlossen, die Initiative 19. Februar hat diesen Missstand auf der Website kein-abschlussbericht.org dokumentiert und skandalisiert. Wir fordern eine behördliche Übernahme von Verantwortung für die Taten! Zugleich wird die nächsten Jahre die Zeit des legalisierten Rechtsextremismus sein. Eine Koalition zwischen AfD und Werteunion könnte sich bemühen, Staatsbürgerschaften zu entziehen und nicht-Deutschen die Grundrechte zu nehmen. Wir fordern einen konsequenten Antifaschismus, der diese Entwicklungen bekämpft und solidarisch mit allen Betroffenen rassistischer Gewalt ist!

Beitragsbild mit freundlicher Genehmigung von Roberto Zambotti von stadtkindfrankfurt.de