Ein paar Gedanken zu den sogenannten Combatants for Peace
Zumindest ließ sich der Eindruck nicht verwehren, dass man Dienstag vergangene Woche im Rio zusammengekommen war, um – sinngemäß nach Paul Spiegel – „die Rufe nach Mord hinter Frieden zu verschanzen“. Wer sich viel mit dem Passauer Rechtsextremismus beschäftigt, dürfte sich mehrmals die Augen gerieben haben, als Kern-Motive des Antisemitismus nach Auschwitz, wie die Verharmlosung des Holocaust oder die Schuldabwehr, nicht von vergreisten neurechten Professoren oder neofaschistischen Lokalpolitikern, sondern junggebliebenen Liberalen ausgeplaudert wurden, als ob die geschichtsermächtigenden Debatten, welche jüdische Holocaustüberlebende jahrzehntelang gegen den Widerstand der deutschen Nachkriegsgesellschaft erkämpfen mussten, nie passiert wären. Der folgende Text soll diesen Umstand reflektieren. Wir hoffen, dass unsere Gedanken einen Beitrag leisten können, die Veranstaltung im Rio in einen größeren Kontext einordnen zu können. Denn, und das wäre ein erster Kritikpunkt: Es wurde viel geredet, aber wenig gesagt. Die Referenten haben sich geschickt um konkreten Gehalt, der sie angreifbar gemacht hätte, gebeugt. Wer sich sonst nicht viel oder einseitig mit der Thematik beschäftigt, mag dementsprechend auch nicht viel Problematisches erkannt haben. Genau in diesem Dilemma liegt der Konflikt aber begraben: Wenn Ernst Nolte den Holocaust als „enthemmten Gegenschlag“ auf den ‚Judeobolschewismus‘ begreift, dann ist allen bei Trost die Sachlage klar. Wenn sinnverwandte Argumentationen jedoch die Rhetorik abschwächen und sich aufgeklärt geben, wird der Ekel, den Holocaust-Relativierung eigentlich immer nach sich ziehen sollte, umgangen.
a) Sprechort und Erfahrung: Die Referenten haben Ich-Botschaften gesendet. Im Prinzip wurde wenig bis gar nichts zur tatsächlichen (geschichtlichen und gesellschaftlichen) Lage in Israel und Palästina gesagt, stattdessen haben beide ihre jeweilige Biographie umrissen: Jüdischer Israeli, der sich in einer angepassten Rebellion gegen die eigene Gesellschaft befindet und Palästinenser, der – geschockt von den Verbrechen des Nazifaschismus, aber auch der eigenen palästinensischen Ingroup – zwischen den Fronten vermitteln will. Dabei haben sich beide auf ihren jeweiligen Sprechort berufen: Wer oder was antisemitisch/antijüdisch/antiisraelisch/anti-palästinensisch/islamophob/rassistisch usw. usf. ist, wird vom Standpunkt der Betroffenheit aus festgelegt, dem die Deutungshoheit zusteht. Das Problem dabei ist, dass bestimmten Identitäten entsprechende Gruppen, also Jüdinnen:Juden, Palästinenser:innen, etc., in den seltensten Fällen homogen gestrickt sind (daher das schöne Sprichwort „zwei Israelis, drei Meinungen“). Auch in der AfD finden sich immer wieder Migrant:innen, Frauen, queere Menschen oder Juden:Jüdinnen, die selber rassistische, misogyne, sexistische oder antisemitische Positionen vertreten und sich ihrerseits auf Definitionsmacht berufen. Wer hat Recht? Die muslimische Frau, die auf der Straße aufgrund ihres Kopftuchs beleidigt wird? Oder Influencer Feroz Kahn, der gerne behauptet, Alltagsrassismus sei gar nicht rassistisch und legitim um Ausländergewalt zu kontern? Erkenntnis ist ein Wechselspiel aus Erfahrungen. Dazu kann auch Betroffenheit gehören, ebenso aber Persönlichkeitsbildung und Empathie. Was Antisemitismus und Rassismus sind, definieren persönliche Erfahrungen einerseits, aber auch theoretisch-empirische Begründungen andererseits. Sprechorte entgrenzen den Begriff, weil sich immer andere Betroffene finden werden, die andere ‚Meinungen‘ vertreten. Wenn Feroz Kahn, der selber zugibt, von Rassismus betroffen zu sein, mehr Rassismus fordert, weil Geflüchtete angeblich so gewaltaffin sind, dann vertritt er eine rassistische Position. Diese Notiz ist wichtig, um das pseudo-Argument des sogenannten „Germansplaining“ zu entkräften, welches behauptet, die Kritik am Antisemitismus sei Teil eines deutschen Schuldkomplexes und ein „deutsches Phänomen“. Dazu sei gesagt, dass es (dezidiert linke) jüdische Denker:innen – häufig aus dem Ausland – wie Fritz Bauer, Hannah Arendt, Jean Améry, Michael Landmann, Janine Chasseguet-Smirgel, Moishe Postone oder Léon Poliakov waren, die diese Kritik nach dem Holocaust erstmalig einforderten, und nicht etwa die philosemitischen Opportunist:innen bei Springer & Co, welche ihren Judenhass einfach in Judenfetisch umkehrten. Es geht aber gar nicht um das jüdisch-Sein dieser Leute, sondern um den (sinnvollen) Gehalt ihrer Theorie. Soviel zum Sprechort.
b) Dämonisierung Israels: Israel wurde im Gespräch dämonisiert, das heißt, unverhältnismäßig schlecht (und falsch) dargestellt. Ein Beispiel: Es wurde behauptet, dass es ein Gesetz gäbe, das es verbieten würde, über die „Nakba“ an israelischen Schule aufzuklären. Das ist so nicht richtig – korrekt ist, dass es ein sogenanntes „Nakba-Gesetz“ gibt, das vorsieht staatliche Subventionen an Organisationen zu suspendieren, die den ersten arabisch-israelischen Krieg 1947/48 als von langer Hand geplante ethnische Säuberung darstellen. Die Gründe für die hunderttausendfache Vertreibung der Palästinenser:innen sind aber multifaktoriell – der Hauptgrund ist sicherlich, dass sich die Arabische Liga entschied, Israel am Tag seiner Staatsgründung anzugreifen und damit einen Krieg auf Leben und Tod losbrach (den es nicht gegeben hätte, wenn die arabische Seite die Zweistaatenlösung im UN-Teilungsplan akzeptiert hätte). Die Fluchtgründe waren teils freiwillig (i.S.v. das Kriegsgebiet präventiv zu verlassen), teils unfreiwillig – es gab sowohl Vertreibungen durch die IDF, als auch durch die arabischen Streitkräfte. Fakt ist, dass nach dem Krieg alle verbliebenen Palästinenser:innen in Israel eingebürgert wurden, während Jordanien und Ägypten Palästina besetzten und die palästinensischen Geflüchteten zu Staatenlosen machten – anstatt ihnen volle Rechte (wie in Israel) zu geben. In Bürgerkriegen zwischen Jordanien und den Geflüchteten wurden tausende Palästinenser:innen ermordet. Sie (die arabischen Regime) haben das palästinensische Flüchtlingsproblem verschuldet. Gleichzeitig wurden nahezu alle Jüdinnen:Juden aus der islamischen Welt gewaltsam vertrieben. All das wurde im Rio unterschlagen. Die gesamte antiisraelische Phraseologie hingegen, die auf dem Mythos (i.S.v. einer alleinigen Schuld des jüdischen Staates) „Nakba“ aufbaut und auch von den Referenten praktiziert wurde, also „Apartheid“ „Kolonialisierung“, „Ethnische Säuberungen“, „Segregation“ usw. ist historisch falsch und dient nur dem Zweck, der Vernichtung Israels eine begleitende Legitimationsideologie zu geben. Dass Israel jahrzehntelang die „Land for Peace“-Strategie verfolgte, welche Gebietskonzessionen für Friedensverträge vorsah, wurde verschwiegen, auch, dass die Aussöhnungen mit Ägypten und Jordanien sowie die Abraham Accords genau deswegen erfolgreich waren, jene mit dem Libanon, Syrien und der PLO/PNA aber nicht, weil die letztgenannten alle Friedensverträge in den 90er und 00er Jahren sabotierten. Natürlich wirkt es ohne diese Hintergrundinfos so, als ob Israel ein chauvinistischer Ethnostaat sei, dessen Selbstzweck die Unterdrückung der autochthonen Bevölkerung gründet. Die Wahrheit ist, dass die hässlichen Seiten des israelischen Staates, also militärische Besatzung, Siedlerbewegung, Interventionen in Gaza/im Südlibanon, immer auch eine Pfadabhängigkeit zum Gegenüber aufweisen. Die Besatzung gäbe es nicht, wenn die arabischen Länder nicht versucht hätten, Israel 1967 und 1973 auszulöschen, die Siedlerbewegung wurde angeheizt, weil Palästina die Zweistaatenlösungen sabotierte und die Interventionen wären nicht notwendig, wenn die politische Führung in Gaza sich dem Aufbau demokratischer und ökonomischer Infrastruktur widmen würde (anstatt das Kernland zu terrorisieren). Michael Landmann schrieb schon 1971: „Dass im Gegensatz zu ihnen Israel nicht friedensbereit, sondern aggressiv, militaristisch und chauvinistisch sei, ist die typische psychoanalytisch bekannte Projektion der eigenen Schwächen auf den Gegner. Es ist zudem die massenpsychologisch stets wirksame Regression vom Kausaldenken auf das Wesensdenken, von der geschichtlichen Interpretation auf das Psychologisieren: Israels Rüstung erscheint nicht als ihm von seinen unversöhnlichen Feinden aufgezwungen, sondern als Ausdruck seines von Haus aus bellikosen Charakters.“
c) Unverstandener Nationalsozialismus: Die Referenten haben wenig Ahnung, was der historische Nationalsozialismus war, ihn aber gerne als Faustpfand verwendet. So wurde mehrmals behauptet, dass die Nakba das Äquivalent zum Holocaust darstellt. Damit wird die Präzedenzlosigkeit von Auschwitz dementiert und der Holocaust relativiert. Aber was macht diese Menschenverbrechen eigentlich präzedenzlos? Nicht unbedingt die Anzahl der Ermordeten. Die Deutschen töteten etwa doppelt so viele (zivile!) Sowjets im gleichen Zeitraum. Auch nicht unbedingt die Gaskammern – es wurden etwa gleich viele Jüdinnen:Juden ‚von Hand‘ wie industriell vernichtet. Im Zentrum des Holocaust steht die Aufgabe der instrumentellen Vernunft. Das bedeutet, dass der Genozid an den europäischen Jüdinnen:Juden keinem vermeintlich rationalen Zweck – Expansion, Ausbeutung, Lustgewinn, Verfolgung des politischen Gegners etc. – diente, sondern zum Selbstzweck wurde. Das Programm der Nazis war im Kern ein Programm zur Vernichtung aller Jüdinnen:Juden, weil der Nationalsozialismus Staat und Gesellschaft als eine rassenideologische Volksgemeinschaft verschmolz, zu der Jüdinnen:Juden die „Gegenrasse“ (Adorno/Horkheimer) bildeten. Als die Deutschen den Krieg verloren, führten sie die Endlösung stoisch und sadistisch fort, eben weil sie dem Wahn verfallen waren, dass nicht militärisches Kalkül oder die weiße Fahne, sondern das Ende der jüdischen Weltverschwörung sie retten würde. Währenddessen wurden nicht-jüdische KZ-Insass:innen repatriiert. Die deutschen Täter gaben, um die jüdischen Opfer zu töten, also ihren Selbsterhaltungstrieb auf. Das bedeutete aber auch, dass internierte Jüdinnen:Juden nichts (Bestechung, Seitenwechsel, Manipulation, Gehorsam, Widerstand) tun konnten, um ihr Schicksal abzuwenden. Den Kapos in den KZs und den Aufständischen im Warschauer Ghetto wurde gleichermaßen ein unumgängliches Todesurteil gefällt. Wer sich da hinstellt, und behauptet „the Nazis only killed the Jews, because they were the biggest Minority” und sogar noch nachlegt: „if the Nazis would do a genocide today, they would kill the muslims”, obwohl sich der Panarabismus und jugoslawische Muslime unmittelbar am Holocaust beteiligten, der hat nicht nur den Nationalsozialismus nicht verstanden, sondern arbeitet – wenn auch unfreiwillig – an der Verlängerung seines Erbe. Denn der Unterschied zwischen revisionistischen Historikern der nach-Nazizeit, welche den Holocaust durch Vergleiche mit der Sowjetunion oder den Westalliierten entwerteten, und diesen unmöglichen Gleichsetzungen, ist nur ein gradueller. Janine Chasseguet-Smirgel hat schon vor Jahrzehnten gezeigt, dass zum Teil auch die Verknüpfung von Holocaust-Relativierung im Zuge von Parteinahmen für ‚unterdrückte Völker‘ unfreiwilliger Ausdruck eines abgewehrten „persekutorischen Schuldgefühls“ sind: Das zumindest latente Schuldbewusstsein für den Holocaust wird, insbesondere in Deutschland, vom Subjekt auf die Instanz projiziert, „von der es annimmt, sie verkörpere das Gute, um die Entfernung zwischen den beiden Protagonisten zu überbrücken. Diese Distanz repräsentiert den Unterschied zwischen Gut und Böse und bildet zwangsläufig eine ständige Anklage. Es geht also darum, denjenigen zu beschmutzen, der einem am wenigsten ähnelt.“ Kurzgesagt: Oft ist Palästina-Solidarität ein Affekt, der den Holocaust psychisch bewältigt, indem das „depressive Schuldgefühl“ durch die Parteinahme mit den vermeintlich Schwachen bzw. die Verurteilung der vermeintlich Starken verdrängt wird. Die Palästinenser werden zu den Juden und die Israelis zu den Nazis – man entfernt sich vom „Bösen“ und heftet sich an das „Gute“ an. Diese pseudo-Rebellion verschafft das falsche Selbstbewusstsein, heute wie damals auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen, ist aber das Gegenteil von Reflexion oder Kritik. Schmerz, Scham, Trauer, also produktive Gefühle, um das Geschehene zu bewältigen, werden durch verkürzte Selbstsicherheiten umgangen. Die Aufarbeitung der Vergangenheit führt aber nicht über schräge Vergleiche, sondern über eine Konfrontation mit dem Grauen, welche hoffentlich zu Einsicht führt.
d) Antisemitismus gegen Israel? Zuletzt wurde noch gesagt, dass „antisemitism the racism against Jews“ sei und dass die bis hierhin zitierten Positionen gar nicht antisemitisch sein könnten, weil sie von einem Juden vertreten werden. Antisemitismus und Rassismus haben Überschneidungen, es gibt aber auch Unterschiede. Antisemitismus ist, kurzgesagt, eine Denkform, die Jüdinnen:Juden Macht zuschreibt und das „Gerücht“ (Adorno) über sie streut, im Verborgenen sinistere Machenschaften zu planen und durchzuführen. Das ist schon etwas anderes als der Rassismus, eine falsche Induktion, die (vermeintlich) Fremde durch nationale, biologistische oder ethnisierte Kategorien als minderwertig statt ebenbürtig abwertet. Ersteres mündet fast immer in der Elimination, letzteres in Ausbeutung, Unterdrückung und Vertreibung. Das Problem, das zu vermischen, ist, dass das jeweilig Besondere verloren geht. Wenn Antisemitismus ‚nur‘ Rassismus wäre, dann könnten die wenigsten rassistischen Gewalttaten als solche benannt werden und andersrum (denn niemand zündet Flüchtlingsheime an, weil er an die afghanische Weltverschwörung glaubt und Selbstmordattentäter wollen Jüdinnen:Juden nicht ökonomisch ausbeuten oder deportieren, sondern von der Erdoberfläche tilgen). Ebenfalls wurde impliziert, es könne keinen Antisemitismus gegen einen Staat, obendrauf noch so einen schlimmen Staat geben. Und es ist tatsächlich so, dass israelbezogener Antisemitismus nicht deshalb antisemitisch ist, weil er einen Staat, also eine politische Gebietskörperschaft betrifft. Es handelt sich um Antisemitismus, weil er Judenhass depersonalisiert und ihn auf den „Juden unter den Staaten“ (Poliakov) umschichtet. Gemeint sind mit Israel, und das ist der springende Punkt, in vermittelter Form immer auch alle Jüdinnen:Juden, die in ihm leben (und, das beweisen die Angriffe auf Synagogen im Kontext des Nahostkonflikts, jene in Deutschland, Frankreich, den USA etc.). ‚Israel ist unser Unglück‘ und ‚der Jude ist unser Unglück‘ unterscheiden sich vielleicht in der Wortwahl, nicht aber im politischen Ziel. Dazu schreibt Monika Schwarz-Friesel: „Wir sehen die zeitlose Komponente der entwertenden Semantik von Judenfeindschaft. Die Muster sind äquivalent und führen die uralte Konzeptualisierung des ‚Übels in der Welt‘ fort. Wir nennen dieses Phänomen die Israelisierung der antisemitischen Semantik: Durch eine zeitgemäße und opportune Substitution (statt auf Jude/Judentum wird auf Israel referiert) verschiebt sich der alte Hass auf den jüdischen Staat bzw. auf das Phantasma ‚Israel‘.“ Mehrmals wurden die Referenten gefragt, ob sie sich zu einer Ein/Zwei/Kein-Staatenlösung bekennen, und mehrmals wichen sie der Frage aus, um sich in unspezifischer Friedenswut zu verlieren: „End the system of oppression“, „the current system is bad for jews and arabs”, „Love and peace is the only solution“, usw. usf. Das ist inhaltsleer und beliebig. Alle bei Verstand wünschen sich diese Dinge. Die Frage ist, was unter den gegebenen Bedingungen auch machbar ist. Eine Kritik an Netanyahu, am kompromisslosen und grausamen Vorgehen in Gaza? Natürlich. Ein Waffenstillstand? Sofort, wenn es bedeutet, dass keine Raketen mehr auf Israel hageln und die Geiseln freigelassen werden. Kriegsende? Sobald die Hamas entwaffnet ist – ob durch die IDF oder freiwillig, ist Sache der Hamas. Ein Ende des jüdischen Staates? Und dann? Wenn die israelischen Jüdinnen:Juden dann die gleichen Rechte erhalten, die sie in Gaza, der Westbank, Syrien, dem Irak oder dem Iran nicht haben, dann wäre es schnell vorbei mit der Präzedenzlosigkeit des Holocaust. Hamas, Hisbollah & Co. wollen ja keinen palästinensischen Staat neben dem israelischen, sondern die totale Vernichtung aller Jüdinnen:Juden in der Region. Eine Zweistaatenlösung? Niemand ist ernsthaft dagegen, sobald es einen demokratischen Verhandlungspartner auf palästinensischer Seite gibt, der bereit ist, Kompromisse einzugehen und die Souveränität Israels zu akzeptieren. Das gab es historisch noch nie so wirklich, und gerade noch viel weniger als noch bei Camp David II. Aber so viel Pragmatismus, der gerade Linken manchmal gut zu Gesicht stehen würde, war für die „Combatants“ dann doch zu viel. Vielleicht hätten tiefergehende Aussagen auch einfach hergegeben, dass sie schlichtweg nicht wollen, dass es einen demokratischen jüdischen Staat in Palästina gibt. Man kann es drehen und wenden wie man will: Würde Israel heute aufgelöst werden, gäbe es morgen kaum noch jüdisches Leben in der Region.
Exkurs – George Orwell und der Pazifismus: Im Großbritannien der Zwischenkriegszeit gab es eine Friedensbewegung, die sich – selbst als schon deutsche Bomben auf Coventry und London flogen – gegen eine Kriegsteilnahme ihres Landes aussprach. George Orwell, der im spanischen Bürgerkrieg erlebt hatte, wie die kommunistische Revolution von Francos Faschist:innen zerschossen und den Stalinist:innen sabotiert wurde, hatte für diese Leute nur Verachtung übrig. Zynisch schrieb er, da „Pazifisten mehr Handlungsfreiheit in Ländern haben, in denen Ansätze der Demokratie bestehen, können Pazifisten effektiver gegen die Demokratie wirken als für sie. Objektiv betrachtet ist der Pazifist pro-nazistisch.“ Das ist natürlich Polemik und im Kontext der 30er und 40er Jahre zu bewerten – für Orwell, selber Pazifist, war Pazifismus nur dann profaschistisch, wenn er einen Verteidigungskrieg konterkarierte. Dass sich die Bedingungen von Wahrheit wandeln können, erkannte auch der kluge Pazifist Hellmut von Gerlach, der sich nicht für Erfahrung versperrte. Als englische Gewerkschaften 1934 erklärten, dass sie einen Krieg gegen die Nazis unterstützen würden, und dafür von der Friedensbewegung kritisiert wurden, schrieb er: „Die englischen Arbeiter sind nicht dem Pazifismus untreu geworden, sie haben nur eingesehen, dass andere Zeiten andere Methoden des Pazifismus erheischen. Was vor Hitler erlaubt oder sogar gut war, kann unter Hitler zu einem Verbrechen am Pazifismus werden, nämlich zu einer Ermunterung seiner Gewaltpolitik und damit zur Erhöhung der Kriegsgefahr führen.“
Wir hoffen, dass unsere Gedanken ebenfalls zur Erfahrung anregen können. Wir sind der Meinung, dass es keine Sünde oder gar antisemitisch ist, den Vortrag der sogenannten Combatants for Peace zu besuchen, glauben aber auch, dass es die Funktion des Formats war, eine Botschaft zu vermitteln, die den Adressat:innen empfiehlt, sich nicht für unterschiedliche Perspektiven zu kümmern und damit manichäisches Denken befördert. Diese Einseitigkeit sollte aufgebrochen werden, denn Ich-Botschaften erlauben wenig Ambivalenz und lassen sich nicht immer mit objektiven Realitäten versöhnen. So war es bezeichnend, dass in der Fragerunde ein „Statement-Verbot“ ausgesprochen wurde, was es faktisch unmöglich machte, den Referenten zu widersprechen. Wir sehen diesen Text als Nachholen eben dieser ungewollten anderen Perspektive.