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„Wir tanzen auf einem Vulkan, aber wir tanzen“

Rede der LUKS zum Anti-AfD-Protest vom 12.08.2023.

Gegenwärtig scheint sich zu bewahrheiten, was Linke seit 10 Jahren fast schon sklavisch predigen: Die AfD durchbricht ihre Funktion als Nischenpartei des rechtsextremen Wählermilieus und nimmt ihren Anspruch als Volkspartei praktisch wahr. Immer wenn die jeweils nationalkonservative, öko-bourgeoise und pseudo-sozialdemokratische Wahlalternative – also der schwarze, grüne oder rote Neoliberalismus – in den Umfragen überholt wurde, wollten natürlich alle sofort gewusst haben, woran es lag. „Rechtsruck! Die Konservativen haben die Brandmauer nach rechts aufgehoben!“ kreischen die Linksliberalen. „Linksruck! Die Ampel hat es zu weit getrieben mit ihrem Klima- und Gender-Wahn!“ grunzen die Konservativen. So sitzen Delegationen beider Lager in Talkshows und bieten den Besserdeutschen vor den Bildschirmen jeweils die Erklärung an, die zu ihnen passt. Klammheimlich ergänzt die radikale Linke „Der Faschismus kehrt zurück! Wir haben es immer gesagt!“, aber da sie nicht in Talkshows sitzt und ihr auch sonst niemand zuhört, verpufft diese Aussage im Nichts. Irgendwie haben sie alle Recht und Unrecht zugleich.

Der Linksruck ist real, aber nicht, wie Konservative und Nazis ihn imaginieren. Er ist Ausdruck dessen, dass die Errungenschaften sozialer Kämpfe – Ehe für Alle, sexuelle Selbstbestimmung, Antirassismus, Klimagerechtigkeit – zunehmend nicht nur im Gesetzesbuch stehen, sondern auch von Staatsfunk und Bürgertum-Presse einverleibt werden. Das ist gefundenes Fressen für rechte Rattenfänger, die den neuen linken Mainstream als die Zersetzung des Volkes glauben. Freilich ist das Quatsch und nichts weiter als ein – nicht zuletzt antisemitischer – Kulturkampf von rechts. Offensichtlich hat der gesunde Menschenverstand an rechtlicher Gleichstellung und der Bekämpfung von Diskriminierung nichts auszusetzen. Aber der Kern der Ampel-Politik – Energiewende, sozialpolitische Brotkrumen, Identitätspolitik, Aufrüstung – stellt tatsächlich einen Klassenkampf von oben dar, welcher eine sich im Aufschwung befindende linksliberale Elite bevorzugen, und die unteren Schichten benachteiligen wird. Das Problem ist nur, dass die einzige Bewegung, die überhaupt gegen die Ampel agitiert, sich nun mal im rechten Rand oder dahinter manifestiert. Ob man es mag oder nicht: Die falsche Kritik an der falschen Politik, wie die AfD sie erstklassig übt, ist hierzulande einfach anschlussfähiger als irgendeine oppositionelle (sozialistische) Gesellschaftstheorie.

nd natürlich reden konservative Akteure wie eben dieser Rand daher, ganz gleich, ob es sich dabei um Merz, Reichelt oder Söder handelt. Die rhetorische Verrohung der Konservativen ist aber kein Schwund irgendeiner fiktiven Brandmauer oder Rechtsruck, wie Linksliberale es immer wieder heraufbeschwören. Diese Leute stehen genauso weit rechts wie immer, sie können es sich nur vermehrt erlauben, dies durch entsprechende Grenzüberschreitungen auch Kund zu tun. Das autoritäre Potential der deutschen Bevölkerung liegt nicht bei 15, 16 oder 20 Prozent, sondern bei der Hälfte. Wer kann es den Konservativen verübeln, ein Stück von diesem Kuchen abhaben zu wollen, nachdem man sich jahrzehntelang mäßigen musste? Mit dieser Mitte, was auch immer das sein soll, ist keine Demokratie zu retten, weil eben diese Mitte nur solange mittig ist, wie rechte Propaganda erfolgreich tabuisiert wird. Die fragilen demokratischen Prinzipien, welche sowieso nur ein Überbleibsel der von den Alliierten aufgezwungenen Reeducation sind, beginnen zu bröckeln, sobald sie die vielfachen Krisen unserer Zeit – Corona, Inflation, Krieg – nicht mehr eindämmen können. Ergo muss man Konservative nicht ins Boot holen, wenn das Boot unbrauchbar ist und die Konservativen die Fische im Wasser sind.

Und natürlich legen diese ganzen Entwicklungen nahe, die Rückkehr des Faschismus zu wittern. Diese Rhetorik bildet das Agitationsfeld der (radikalen) Linken, welche im Angesicht der AfD gerne Totenbeschwörung betreibt. Tatsächlich kommt das Geraune der AfD dem, was der historische Faschismus war, unheimlich nahe: Kulturpessimismus, völkischer Nationalismus, Traditionalismus sowie autoritäre Sehnsüchte, es wahlweise Klimaklebern, Feministinnen, der Antifa oder ‚denen da oben‘ mal so richtig zu zeigen, sie also in Schauprozessen oder Erschießungskommandos auszuschalten. Diese Analyse übersieht allerdings, dass Faschismus einen Zeitkern besitzt, sich heute also ganz anders darstellt, als er es damals tat. Die AfD ist nicht die Nachfolgebewegung der Nazis, welche nun unvermittelt das Erbe Hitlers antritt. Nach seiner Niederlage hat sich der Faschismus in seine Einzelteile zerlegt, das bedeutet, dass er sich nach seinem Tod auf mehrere Träger verteilt hat und in ihnen nachlebt. Hier kann man gerne eine Analogie zu Lord Voldemort und seinen Horkruxen bemühen. Dieser vereinzelte und demokratisierte ‚Nach-Nationalsozialismus‘ oder Postnationalsozialismus findet sich im kollektiven deutschen Bewusstsein wieder, sei es in der patriarchalen kleinbürgerlichen und großbürgerlichen Familie, in der Erinnerungsabwehr von links und rechts, in neuen Formen des Antisemitismus und Rassismus, in der deutschen Außenpolitik schwarzer, grüner und roter Provenienz, und ja, auch und insbesondere in den Dörfern Brandenburgs und Sachsens sowie heute auf dem Ludwigsplatz. Das Erbe der Nazis ist die vereinte Bundesrepublik Deutschland und das Fortwirken deutscher Ideologie, welches all den Habecks, Lindners, Schröders und Wagenknechts ebenso ins Gesicht geschrieben steht, wie der AfD. Die AfD ist eben nur jene Partei, welche dem frappierenden Versuch, den Zeitkern des Faschismus tatsächlich wieder aufzuheben, am nächsten kommt. Es wäre aber falsch, deswegen nur die AfD zu verdammen. Eigentlich müsste man mit dem ganzen Saustall Schluss machen.

Davon sind wir aber weit entfernt. In Deutschland wählen Leute lieber die AfD oder beteiligen sich am peinlichen Theater, sich die Gründe für die AfD gegenseitig in die Schuhe zu schieben, um die jeweilige katastrophale Politik zu legitimieren. An einem Ende von spätkapitalistischer Tristesse und einem Zustand irdischen Glücks sind nur wenige interessiert. Umso schöner, dass heute zumindest einige hierhergekommen sind, um zu zeigen, dass das Gegenteilige der AfD fortlebt, wenn auch nur in einer schwachen Minderheit. Vergesst nicht, euch nach diesem Trauerspiel hier etwas Gutes zu tun und nicht zu stark der Resignation nachzugeben, auch wenn es schwerfällt. Denn auch das ist antifaschistische Praxis: Wenn der Faschismus jeglicher Couleur das Unglück verwirklichen will, gilt es umso heftiger, das Glück nicht nur auf der Straße zu verteidigen, sondern es auch und gerade im Privaten aufzubewahren. Ohne einzelne Momente irdischen Glücks stirbt auch die Hoffnung auf seine Verallgemeinerung. Das wusste schon Heinrich Heine, der – zu Recht! – nicht nur viel Abfälliges über Deutschland zu sagen hatte, sondern auch darüber hinaus wies: „Wir tanzen hier auf einem Vulkan – aber wir tanzen. Was in dem Vulkan gärt, kocht, brauset, wollen wir heute nicht untersuchen, und nur, wie man darauf tanzt.“